FRED BREINERSDORFER

DIE WELT ZU FÜSSEN – DER BÖSE ROMAN VOM LIEBEN GELD

Originalausgabe Edition Weitbrecht 1993

(C) alle Rechte bei Fred Breinersdorfe

Herrschaften, eines Tages, es war so im 84er Jahr, da schlage ich einem berühmten Verleger einen Romanstoff vor. Und dieser Romanstoff geht etwa so:

Ein Mann, Ministerpräsident einer kleinen Republik, stürzt mit einem Flugzeug ab. Er alleine kommt davon, nur geringfügig verletzt. Gerüchte entstehen, er habe den Unfall verschuldet. Das ist in Zeiten des Wahlkampfes um die Präsidentschaft der kleinen Republik. Um von diesem Problem abzulenken, stellt der Ministerpräsident einen Mann ein, der auf schmutzige Tricks spezialisiert ist. Im Auftrag des Ministerpräsidenten schreibt der Spezialist anonyme Briefe und läßt Beschattungen durchführen. Er verleumdet den Gegenkandidaten als schwul, aidskrank und prüft dessen Steuermoral. Trotzdem kann der Präsident die Wahl nicht gewinnen. Am Wahlabend kommt alles heraus. Der Präsident bezeichnet die Enthüllungen als “erstunken und erlogen”, er fordert einen Untersuchungsausschuß, er verpfändet sein Ehrenwort, doch er verstrickt sich in Widersprüche. Schließlich flieht er vor der Presse auf eine Insel. Kurz vor seinem Auftritt vor der Enquetekommission will er in Genf einen Informanten treffen, der ihm Entlastungsmaterial zuspielen soll. Wenige Stunden später wird er von Reportern gefunden. Er liegt in Kleidern in der Badewanne eines Hotels. Er ist tot. Es ist dasselbe Hotel, vor dem die liebliche Kaiserin Sissy ermordet wurde. Soweit der Stoff.

“Au Backe”, sagt, 1984, der berühmte Verleger, der auf eine reiche Lebenserfahrung zurückblickt, “ich schätze Sie schon in gewisser Weise als Autor, aber nichts für ungut, lassen Sie sich was anderes einfallen, Mann, irgendwas, was mit der Wirklichkeit mehr zu tun hat.”

“Okay, dann eben nicht, war ja nicht so tierisch viel Arbeit, mir diesen Stoff auszudenken”, sage ich und erfinde, jetzt mal so eben, einen anderen Stoff. Und der könnte ungefähr so gehen, Herrschaften:


Ein Mann, der Dr. Max Specht hieß, gab seiner Frau einen Kuß.

Specht ist unser Held, Herrschaften. Okay?

Und Specht dachte, daß es der letzte Kuß ist, den er ihr gibt. Es war keine Flamme hinter dem Ding. Die Lippen berührten sich nur flüchtig, trocken seine Lippenhaut, blaßrosa, und ihre Lippenhaut deckte eine Emulsion von Lippenstift zu. Ein wenig vom Lippenstift blieb an ihm hängen. Er hob die Hand und ließ sie wieder fallen.

Er sagte: “Tschüs” und: “Bis bald”, er lächelte nicht und beobachtete, wie sie in den Daimler stieg, zündete und davonrollte mit dem Markencaravan auf dem Haken. Er heftete seinen Blick auf das weiße Dach des Caravans, den seine Frau die Straße hinunterschleppte. Er hielt den Eindruck möglichst lange fest, bis das Gespann hinter den Bäumen der Biegung verschwand. Specht ging ins Haus, auf den Speicher, kramte in einer Wellpappumzugskiste, zog einen 38er heraus, wickelte ihn aus einem ölverschmierten Lappen und hielt ihn gegen das fahle Licht, das durch die Dachluke herunterschien. Der Revolver, kühl und nicht mal schwer, war vernickelt. Damenwaffe. Passend für die Handtasche. Er hatte bessere Zeiten gesehen. Er hatte vielleicht schon einmal den Tod gebracht, einem polnischen Grafen oder einem Handelertreter oder einem Blumenweib. Der Mann namens Specht schob die Waffe in die Hosentasche, stieg vom Speicher herunter, klappte die Leiter zusammen. Aus dem Magazinschrank im Keller nahm er ein Glas mit Cellophanbedeckung und der Aufschrift “Brombeeren 1989” aus dem Regal. Er steckte es ein. Er machte sich auf den Weg in den Wald.

Draußen im Wald: Unterholz und der Gestank von Unkräutern
und von Scheißhaufen. Mücken und aufgescheuchte Schnaken tummelten sich. Eine Elster flog keifend hoch. 24 Grad Celsius. Ein allgegenwärtiger Nieselregen wehte umher. In einem kleinen, runden Handspiegel besah sich Specht die Mimikri. Brombeergelee als Blutersatz. Es wirkte aus der Nähe und im grünen Licht überzogen und völlig unglaubwürdig. Aber die Maske sollte nach dem Plan unseres Helden erst auf größere Distanz Wirkung entfalten. Dann aber richtig. Zischend zog ein Fahrzeug über den Asphalt. Er sah auf die Uhr. Es wird Zeit! Er kletterte die glitschige Böschung hinauf, hielt sich an den Sträuchern fest, kontrollierte noch einmal den Rückweg durch diese kleine Abwasserschneise, hinunter ins Unterholz. Klar, das war zu schaffen! Er hatte Fußballschuhe eines führenden Herstellers mit langen Stollen an. So konnte dürfte passieren, meinte er. Hinter einem Liebstöckelgebüsch verbarg er sich am Straßenrand. Noch ein Fahrzeug kam herangeschossen, einen Mantel feuchter Gischt mit sich reißend. Biiiau. Vorbei. Da vorne! Dort kommen sie! Die buckelige Silhouette des Panzerwagens tauchte auf. Specht wartete noch eine Sekunde, vielleicht zwei, dann taumelte er hinaus, warf die Arme in die Luft, drehte sich um die eigene Achse, sank nieder, mitten auf die Fahrbahnseite, wo der Transporter heranschoß. Planmäßig war kein anderes Fahrzeug zu sehen. Programmgemäß brauchten die zwei Wachmänner in dem Panzer vier bis fünf Sekunden, bis sie den Mann richtig erkannt hatten. Der Wagen federte vom Bremsen vorne ein und nickte gravitätisch.

“Isn das?” fragte der eine Wachmann seinen Kollegen.

Der starrte nach vorne und flüsterte entsetzt: “Man kann das geronnene Blut in dem Gesicht erkennen.”

Der Körper des Mannes auf der Fahrbahn war verkrümmt, die Kleider vom Kot der Straße verschmiert. Die aufgerissenen Augen starrten dem Panzer entgegen. “Mein Gott!” murmelte der Beifahrer. Specht lag da, hatte den 38er unter dem Bauch, sorgsam darauf bedacht, daß die Patronen nicht naß wurden. Denn es war eine Waffe für Damenhandtaschen. Ein blaues Loch fraß sich oben in die Wolken. Er spürte die Kälte des vernickelten Metalls. Er hielt den Atem an. Der Panzer war weiß, die Scheiben waren grün. Immer größer und größer wuchs seine Silhuette, schier unermeßlich, gesehen aus der Perspektive unseres Helden Specht, der in der Nässe und dem Kot der Straße lag. Mein Gott, es sah in dieser Sekunde so aus, als würde es der Panzer nicht mehr schaffen anzuhalten, als würden die Räder blockieren und das mächtige Fahrzeug auf Specht zurutschen und ihn mit seinen sieben Tonnen zermalmen würde.

Geht aber nicht, Herrschaften, dann wäre der Stoff ziemlich unergiebig. Das wäre dem Verleger und Ihnen nicht Recht, oder? Also denke ich, geben wir unserem Helden noch eine Chance:

Sagen wir so: wenige Meter, ja fast nur Zentimeter vor dem Kopf unseres Max Specht ging der Fahrer ging von der Bremse, wich geschmeidig mit dem Fahrzeug dem reglos auf dem Boden liegenden Körper aus. Der Fahrer dachte an seine Dienstanweisung und daran, daß einer seinen Job verliert, wenn er gegen die Dienstanweisung verstößt und auf freier Straße anhält. Die Dienstanweisung rechnet nicht mit wirklichen Notfällen, nur mit Simulieren. Die Dienstanweisung hatte recht. Also fuhr der Panzer vorüber. “Der arme Teufel”, sagte der Wachmann zu seinem Kollegen, und der Kollege antwortete: “Der hat’s hinter sich, Gott sei dank. Er bekreuzigte sich und sah in den Rückspiegel. “Da kommt sowieso einer”.

Im Windschatten des Panzerwagens hielt sich ein R5 mit einem jungen Menschen am Steuer, der ordentlich angezogen war und als Student der Betriewirtschaft auf seinen Visitenkarten firmierte. In Wirklichkeit war er ein Trickbetrüger, der nur die Mittlere Reife hatte und den man schon im Fernsehen gesucht hatte. Er erschrak über den Körper, denn er hatte ein Herz. Er hielt sein Fahrzeug an und näherte sich aus Menschlichkeit der mutmaßlichen Leiche auf der Straße, bereit, zu helfen oder sogar das Sterbesakrament zu spenden (er war evangelisch).

Doch die Leiche regte sich zu des Helfers blankem Entsetzen, sprang auf und schrie ein Wort aus der Fäkalsprache und daß der Helfende ihn am Arsch lecken könne. Der vermeintliche Tote rutschte auf dem Hintern die glitschige Böschung hinab. Die Sonne schickte ihm einen gelben Lichtstrahl hinterher, wie er prasselnd zwischen dem Geäst verschwand. Oben auf der Landstraße hörte man das Wimmern bremsender Reifen. Ein Fahrschulfahrzeug der Polizei prallte mit blechernem Krachen in den vorschriftsmäßig mit Warnblinkanlage abgestellten R5. Den R5 schob es schräg in die Straße. Sein Besitzer floh gleich hinter dem Mann her, der im Unterholz verschwunden war.

“Halt”, rief er, “nehmen Sie mich doch mit”, denn er hatte einen Kickstarter gehört. Der Motor einer Geländemaschine dröhnte auf.

Hinter ihm schrie der Polizeifahrschullehrer: “Halt, stehenbleiben!”
Der Samariter rannte um seine Freiheit. Der Polizeifahrschullehrer wollte die Personalien einer am Unfallgeschehen beteiligten Person feststellen. Deshalb nahm er die Verfolgung auf. Auch der Fahrschüler wetzte im Wald herum. Das Geräusch der Geländemaschine verhallte.

(…)